Teil 3: Politik

Der Blick zurück 

Die Archivarin des Jugendhauses Düsseldorf, Maria Wego, schaut für uns wieder zurück auf 100 Jahre Mädchen(verbands)arbeit - dieses Mal mit dem Titel "Keine Angst vor Politik" zum politischen Engagement von Mädchen und Frauen und ihren Forderungen.

Zwar standen politische Themen Jahrzehnte lang nicht ganz oben auf der Themenliste der Mädchenverbandsarbeit, aber sie waren nie ein Tabu. An Intensität und Vielfalt der Diskussion lassen sich gesellschaftliche und politische Debatten und Rahmenbedingungen gut ablesen. Waren die Beiträge in den Mitgliedszeitschriften beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark geprägt vom Rollenbild der Frau und von Patriotismus, so sind in der Zeit des Nationalsozialismus politische Äußerungen kaum bis gar nicht zu finden. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten Frauen und Mädchen in den Verbänden vor allem durch die Tat Politik. Maßgeblich trugen sie das entwicklungspolitische Engagement mit und legten mit dem „Lagerdienst“ die Grundlagen für das heutige Freiwillige Soziale Jahr. Ab den 1980-er Jahren wurde mehr „Politik gemacht“ und es standen Themen wie Gleichberechtigung in Kirche und Gesellschaft sowie der Kampf gegen sexuelle Gewalt im Vordergrund.

Die Auseinandersetzung mit politischen Themen stand bei den Gruppen und Verbänden vor Ort eher selten auf der Tagesordnung. Daher griff der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) besonders in den 1950-er Jahren, also in der noch jungen Bundesrepublik, das Thema in seinen Publikationen immer wieder auf. Persönliche Berichte wurden meist verknüpft mit der Aufforderung, sich zu interessieren und selbst aktiv zu werden. Nachdem eine Vielzahl an Zeitschriften aus finanziellen Gründen eingestellt werden musste und damit die Mädchen nicht mehr direkt erreicht werden konnten, waren es vor allem die Bildungsreferenten und –referentinnen der Verbände und der Diözesen, die das Thema Politik an die Frau brachten. Diese war durchaus interessiert, auch wenn es selten zu parteipolitischem Engagement führte. Das könne daran liegen, hieß es in einem Artikel im BDKJ-Journal 1994, dass „das Eingepreßtsein in bestimmte Programme eine Attraktivität verhindert und sich Mädchen eher in Gruppen wie Greenpeace und Bund Naturschutz engagieren“.

Nachdem am 30. November 1918 in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt worden war, konnten sich katholische Mädchen und junge Frauen mit dem Thema Politik anders als zuvor befassen. In den politisch und wirtschaftlich unruhigen und unsicheren Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg blieb ihnen aber nicht viel Zeit, um sich zu positionieren. Schließlich standen bereits am 19. Januar 1919 die Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung an. Der Zentralverband der Jungfrauenvereinigungen Deutschlands befasste sich umgehend mit dieser neuen Situation und empfahl ohne Wenn und Aber seinen Mitgliedern erstens zur Wahl zu gehen und zweitens die Zentrumspartei zu wählen. Die Festlegung auf eine Partei war beinahe selbstverständlich, da nur die Zentrumspartei als Garant für ein christlich geprägtes Deutschland betrachtet wurde.

 

„Geht zur Wahl!“ ist ein Appell, der seither Teil der Mädchenverbandsarbeit ist. Es galt und gilt aus dem Glauben heraus nicht nur Verantwortung in Kirche und Verband zu übernehmen, sondern auch in Staat und Gesellschaft. Anders als die Verbände der Jungen äußerten sich Mädchenverbände bis 1945 allerdings deutlich zurückhaltender. Das wundert nicht, wurde in jenen Jahren Politik doch in erster Linie als Männersache betrachtet. Zwar sollten die Mädchen nicht außen vor bleiben oder „nur Stimmvieh“ sein, doch ihr Haupttätigkeitsfeld wurde in der Familie gesehen.

Sybille Eickelboom (1884-1931) (Foto: Archiv Jugendhaus Düsseldorf)

Bereits gut ein Jahr nachdem Frauen das Wahlrecht erhalten hatten, übernahm schon mit Sybille Eickelboom eine Mitarbeiterin eines Mädchenverbandes Verantwortung als Abgeordnete. Zwischen 1920 und 1927 war sie Mitglied der Zentrums-Fraktion im Preußischen Landtag. Doch die Verbandssekretärin des Zentralverbandes der Jungfrauen-vereinigungen Deutschlands war in dieser Zeit nur eine von wenigen Frauen, die diesen Weg überhaupt beschritten. Auch in den Parlamenten der Bundesrepublik Deutschland finden sich Frauen, die ihre Wurzeln in der katholischen Jugendverbandsarbeit haben. Beispielhaft seien hier nur die ehemalige BDKJ-Diözesanvorsitzende von Essen Irmgard Karwatzki (CDU-Bundestagsabgeordnete 1976-2005) und die ehemaligen BDKJ-Bundesvorsitzenden Elsbeth Rickal (CDU-Landtagsabgeordnete in Rheinland-Pfalz 1980-1984) und Karin Kortmann (SPD-Bundestagsabgeordnete 1998-2009) genannt. Wie auch ihre männlichen Kollegen wechselten sie allerdings anders als Eickelboom erst nach ihrer Verbandstätigkeit in die Politik.

Bis in die 1950-er Jahre hinein lag das Hauptaugenmerk in der Mädchen-verbandsarbeit auf der Vorbereitung der Mädchen und jungen Frauen auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter. Ein wie auch immer darüber hinausgehendes Engagement in Kirche und Gesellschaft war kaum im Blick. Auch wenn sich der Zentralverband der Jungfrauen-vereinigungen Deutschlands gemeinsam mit zahlreichen katholischen Frauenverbänden ab 1918 für den Bau der Frauenfriedenskirche in Frankfurt am Main einsetzte, so war dies nicht der Beginn einer intensiven Friedensarbeit seitens des Mädchenverbandes. Der Wunsch nach Frieden war eng verwoben mit einem patriotischen Bekenntnis zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und blieb auf den Bau der Kirche beschränkt.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Arbeit deutlich. In der Mädchenverbandsarbeit wurden im „Wirtschaftswunderland“ Bundesrepublik Deutschland in den 1950-er Jahren rasch Akzente gesetzt. So startete der BDKJ zahlreiche Aktionen, um Menschen in Not zu helfen. Dies galt einerseits für das Ausland, andererseits für das Inland. Das Auslandsengagement ging zunächst über den Einsatz der katholischen Jugend bei der Aktion Dreikönigssingen und der Gründung des Bischöflichen Hilfswerkes Misereor hinaus. So rief die BDKJ-Frauenjugend beispielsweise 1957 zum Bau einer Kirche in Indien und 1958 zur Unterstützung eines Kinderheimes in Griechenland auf.

Die Diskussion über die verschiedenen Aspekte des Lebensalltags von Mädchen und Frauen wurde allgemein in die Verbände, aber vor allem in Kirche und Politik getragen. Beispielhaft seien hier aus dem Jahr 1989 die Schrift „Frauen könn(t)en alles“, die die beruflichen Möglichkeiten von Frauen beleuchtet, und die „Mädchen- und frauenpolitische Forderungen an die Bundesregierung“ von 1995 genannt. Mit ihnen forderte die BDKJ-Bundesfrauenkonferenz die Bundesregierung zum Handeln auf: Verbesserung der Lebenslagen, eigenständige wirtschaftliche und soziale Existenzsicherung, konsequente Sanktionierung sexueller Gewalt, Verbesserung des Rechtsstatus von Migrantinnen und asylsuchenden Frauen.

 

Sexueller Missbrauch von Kindern thematisierte der BDKJ früh. Bereits 1964 erschien in der Mitgliedszeitschrift „Die bunte Kette“ ein Artikel, mit dem Mädchen (und Jungen) auf Gefahren aufmerksam gemacht wurden. Die Präventionsarbeit zieht sich danach wie ein roter Faden durch die verbandliche Arbeit. Auch die 1994 erschienene Plakatserie zur Mädchen- und Frauenarbeit im BDKJ griff das Thema auf: „Finger weg, wenn ich nicht will“. Darüber hinaus trug auf Initiative der BDKJ-Bundesfrauenkonferenz der BDKJ 1993 das Thema sexueller Missbrauch von Mädchen in der Kirche in die kirchliche Öffentlichkeit. Trotz Kritik auch von Seiten mancher Erwachsenenverbände gelang es durch den Beschluss „Nicht sexuelle Gewalt ist ein Tabu sondern das Reden darüber“ das Thema in die Deutschen Bischofskonferenz zu bringen. Das Thema war also bereits viel früher auf der Tagesordnung als es die Debatte der vergangenen Jahre vermuten lässt.

Der Blick nach vorn 

Katholisch – politisch – aktiv! Der Leitspruch des BDKJ gilt auch für die mädchen- und frauenpolitische Arbeit im BDKJ. Frauenpolitische Fragestellungen interessieren junge katholische Frauen damals wie heute -  und fordern heute wie damals selbstbewusst (mindestens) die Hälfte der Macht. 

Politische Handlungsfelder gibt es genug: Yvonne Everhartz, Referentin für Jugendpolitik, Mädchen- und Frauenpolitik sowie Genderfragen, und Martina Fornet-Ponse aus dem BDKJ-Frauenpräsidium geben einen Überblick.

Immer noch dominieren Frauen und Männer unterschiedliche Bereiche des Arbeitsmarktes. Frauen sind häufiger in Pflegeberufen zu finden, wohingegen Männer immer noch häufiger technische Berufe ergreifen als Frauen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Tradierte Rollenbilder, genderunsensible Berufsberatung und auch das Ansehen bestimmter Berufsfelder in unserer Gesellschaft. Hinzu kommt, dass Frauen durchschnittlich deutlich weniger verdienen als Männer in gleichwertigen Berufen.

 

Immer wieder machten sich die Frauen im BDKJ  in den letzten zehn Jahren für eine gender- und kultursensible Berufsberatung von jungen Frauen stark und setzten sich für eine gerechte Entlohnung in sogenannten „typischen Frauenberufen“ ein. Weitere Forderungen waren gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit bei Männern und Frauen, die Einführung einer Individualbesteuerung sowie die Einführung von verbindlichen Quotenregelungen für Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft.

 

Wir freuen uns sehr, dass es heute in Deutschland eine verbindliche Frauenquote für Aufsichtsräte gibt! Allerdings kann das nur der Anfang und nicht das Ende eines geschlechtergerechten Arbeitsmarkts sein!

Von Menschen, die nicht katholisch sozialisiert sind, bekommen wir oft zu hören, wie es möglich sei, dass wir frauenpolitisch aktiv UND katholisch sind. Oft genug haben einige von uns festgestellt, dass sie frauenpolitisch aktiv sind, weil sie katholisch sind. Immer noch ist unsere Kirche an vielen Stellen von Geschlechterungerechtigkeit geprägt – auch wenn sich in diesem Bereich gerade in Deutschland in den letzten Jahren wahnsinnig viel bewegt hat!

 

Frauen im BDKJ meldeten sich auch im Bereich der Kirchenpolitik immer wieder lautstark zu Wort. Stets mit dem Ziel, eine tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Kirche zu erreichen. Im Jahr 2008 standen dabei die Anerkennung der Vielfalt weiblicher und junger Lebensentwürfe sowie die gleichberechtigt Teilhabe an kirchlichen Leitungsämtern im Vordergrund. Dem folgte 2011 als Reaktion auf den Dialogprozess der Deutschen Bischöfe die Forderung nach tatsächlicher Veränderung. „Wir sind überzeugt: Mann und Frau, Mädchen und Junge sind vor Gott gleich berechtigt und gleichwürdig. Erst im Miteinander von Frauen und Männern werden Charismen und Berufungen ihre volle Kraft entfalten. Frauen und Männer sind aufeinander angewiesen: in der Art, in der sie ihre priesterliche Berufung leben, in der sie Seelsorgerinnen und Seelsorger sind, in der sie Liturgie feiern, das Wort Gottes verkünden oder Leitung wahrnehmen.“

Gibt es heute überhaupt noch Gründe, sich mädchen- und frauenpolitisch zu engagieren? Können junge Frauen heute nicht alles erreichen? Wir finden: im Bewusstsein der Errungenschaften unserer Mütter und Großmütter, müssen auch wir uns weiter für eine eigenständige und starke Mädchen- und Frauenpolitik einsetzen!

 

Wenn sich die Bundesfrauenkonferenz mit einer starken Mädchen- und Frauenpolitik beschäftigt, geht es keinesfalls um Selbstbespiegelung oder Selbstreferentielles, sondern um eine Rückkehr in die Zukunft. Mädchen und Frauen erleben in unserer Gesellschaft noch immer eine strukturelle Benachteiligung und genau aus diesem Grund hält der BDKJ an einer eigenständigen Mädchen- und Frauenpolitik sowie –arbeit fest und setzt sich für deren Sicherung ein. Neben den Forderungen aus anderen Politikfeldern benennt die BDKJ Bundesfrauenkonferenz die immer noch herrschende Geschlechterdiskriminierung und fordert unter anderem die Regelförderung zum Abbau von Geschlechterstereotypen und eine weitere Differenzierung in der Förderung von Mädchen und Frauen.

 

Eine wirkungsvolle, nachhaltige, emanzipatorische und parteiliche Mädchen- und Frauenpolitik muss ganzheitlich denken und darf Mädchen und Frauen nicht länger ausschließlich unter familien-, bildungs-, gesundheits- oder arbeitsmarktpolitischen Aspekten betrachten!

Kein Thema bewegt aktuell so viele Menschen wie die Kriege auf der Welt und die (u.a.) damit verbundene Flucht von Menschen auf der ganzen Welt. Auch wir haben uns mit diesem Thema schon aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschäftigt.

 

In den letzten Jahren haben sich  Frauen im BDKJ mit den Themen Frauen und Frieden sowie Frauen auf der Flucht auseinandergesetzt. Mädchen und Frauen sind immer noch nicht ausreichend vor Gewalt in bewaffneten Konflikten geschützt, aber sie werden auch zu Täterinnen. Die Bundesfrauenkonferenz 2013 setzt sich für mehr zivile Konfliktbearbeitung und deren gendersensible Ausgestaltung sowie mehr Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen ein. Auch als Geflüchtete werden Frauen häufig Opfer von (sexualisierter) Gewalt und die geschlechtsbedingten besonderen Bedürfnisse von Mädchen und Frauen werden oft nicht berücksichtigt. Die Bundesfrauenkonferenz setzt sich für sichere Fluchtmöglichkeiten und Unterbringung, für die gesetzliche Krankenversicherung von Anfang ein, eine geschlechtsspezifische Beratung und Förderangebote sowie eine zielorientierte Vernetzung von Politik, Kirchen und Zivilgesellschaft, um Zukunftsperspektiven für geflüchtete Mädchen und Frauen zu schaffen.

 

„Wir als selbstorganisierte Mädchen und Frauen im BDKJ sind bereit unseren Beitrag für geflüchtete Mädchen und Frauen weltweit und vor Ort zu leisten und wollen Selbstorganisationen von geflüchteten Mädchen und Frauen in Deutschland unterstützen, damit diese ihre Interessen noch besser darstellen und dafür eintreten können.“[2]