Die Frau ist der Sonderfall der Menschheit. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man hineinhört in die kirchlichen Äußerungen über Frauen, seien sie wohlwollend, herablassend oder offen abwertend. Denn wenn überhaupt der Bedarf benannt wird, es müsse über Frauen gesprochen werden, es müsse gar eine „Theologie der Frau“ geben (Papst Franziskus), dann wird damit zugleich gesagt, dass wenn über „Menschen“ gesprochen wird, nicht automatisch auch über Frauen gesprochen wird. Das Problem dabei ist, dass das stimmt. Männer werden in der katholischen Kirche nicht annähernd so problematisiert wie Frauen. Über Jungen und junge Männer wird nicht gesagt, man müsse ihnen die „Größe und Schönheit ihrer Berufung als Mann“ vor Augen stellen, in Bezug auf Mädchen und junge Frauen umgekehrt aber sehr wohl.
Frauen und Mädchen kommen umgekehrt kaum vor, wenn von den großen Gestalten der Bibel und des Glaubens die Rede ist. Man könnte zwar über die Jahrhunderte hinweg eine lange Geschichte rekonstruieren, wie Frauen ihren Glauben gelebt haben - von Wüstenmüttern der frühen Kirche über Diakoninnen und Mystikerinnen bis zu gültig geweihten katholischen Priesterinnen der tschechischen Untergrundkirche während des Kalten Krieges. Frauenbilder in der Geschichte des* geglaubten Gottes* waren divers, bunt und vielgestaltig. Das Kurzzeitgedächtnis der kirchlichen Organisation ist aber eben dies: kurz. Das, was wir heute als „war immer schon so“ verinnerlicht haben, ist kaum älter als 150 Jahre. Das heutige offiziell-kirchliche Frauenbild folgt der Rollenzuschreibung des bürgerlichen 19. Jahrhunderts in Europa, denn diese Zeit ist es auch, die die heutige Gestalt des Katholizismus stark geprägt hat. Damals hatte sich ein neues, heute als „klassisch“ bezeichnetes Rollenmodell als Ideal durchgesetzt, bei dem der Mann für die Erwerbsarbeit und die Frau für den häuslichen Bereich zuständig war. Es wurde unterfüttert von einem romantischen Liebesideal und einem daraus folgenden Familienbild, bei dem die familiären Pflichten dauerhaft auf romantischer Liebe gründen. Dieses Bild hat in der Kirche fest Fuß gefasst. In der Gesellschaft wurde es aber in einer Pendelbewegung gefolgt von einer Modernisierung des Frauenbildes in den Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die die Kirche nicht mitgemacht hat.
Das kirchliche Frauenbild, das seitdem von einem „natürlichen“ Wesen der Frau als Jungfrau, Braut und Mutter ausgeht, ist damit allgemeingesellschaftlich überhaupt nicht mehr anschlussfähig, und umgekehrt haben moderne Frauenbilder in der offiziellen kirchlichen Lehre (immer noch) keinen Platz.
Darum wird die Frage nach der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Kirche zunehmend zum Problem. War der Ausschluss der Frauen vom Amt in vormodernen Zeiten eine Selbstverständlichkeit, weil Frauen auch gesellschaftlich keineswegs gleichgestellt waren, so steht die kirchliche Lehre jetzt vor dem Problem, diskriminierende Strukturen mit Aussagen über Frauen rechtfertigen zu müssen, die Gleichwürdigkeit ausdrücken sollen: Weil es eine Entscheidung „des Schöpfers“ sei, dass Frauen nun einmal keine Männer seien, könne man „ohne nachteilige Folgen für die Frau einen gewissen Rollenunterschied annehmen“, so das vatikanische Schreiben an die Bischöfe „über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt“ von 2004.
Die Bollwerke hochzuziehen gegen die Gleichberechtigung der Frauen wird mehr und mehr zu einem Markenzeichen der katholischen Lehre, die immer stärker eingeschärft und zur absoluten Chefsache erklärt wird. Das treibt dann Blüten wie die, dass die Stellung der Frau niemand antasten kann, weil sie nur von ganz oben geändert werden kann, während die Frage, wie in einer Ortskirche mit der Corona-Pandemie umgegangen wird, die für die Gläubigen potentiell lebensbedrohlich ist, dem einzelnen Ortsbischof oder Pfarrer überlassen wird.
Die Ursachen dafür liegen tief. Denn allen einzelnen rechtlichen Entwicklungen zum Trotz, mit denen die Diskriminierung von Frauen in einzelnen Bereichen der Kirche abgebaut wurde (Frauen dürfen heute z.B. den Altarraum betreten, Theologie studieren und in den Kirchenvorstand gewählt werden), hat die Kirche heute weiterhin ein männliches Gesicht, weil das katholische Gottes*bild immer noch männlich-patriarchal geprägt ist. In Gottesdiensten, Liedern und Gebeten wird Gott* ausschließlich männlich angesprochen. Warum eigentlich, wenn doch alle einig sind darin, dass Gott* natürlich kein Geschlecht hat und es auch in der Bibel noch Spuren weiblicher Gottes*rede gibt?
Das ist natürlich eine theologische, aber gerade darum eine höchst wichtige Frage, denn das Gottes*symbol wirkt. Und man kommt der Frauendiskriminierung in der Kirche nicht bei, solange Männer immer irgendwie ein bisschen gott*ähnlicher sind als Frauen.
Wie die Frau der Sonderfall der Menschheit ist, so ist auch die weibliche Gottes*anrede eine Abweichung vom Normalen. Zwar haben Katholik*innen als Ausgleich und weibliche Repräsentanz in der göttlichen Sphäre die Gottes*mutter Maria, aber die Gottes*vorstellung selber ist von männlichen Begrifflichkeiten und patriarchalen Vorstellungen geformt.
Gleichberechtigung in der Kirche wird es aber erst wirklich geben, wenn diese Spuren wieder zugänglich gemacht worden sind, von und zu Gott* gleichermaßen in männlichen wie weiblichen Bildern gesprochen wird und von Gott anders als in den Kategorien von Herrschaft und Distanz gedacht wird. Aber während die kirchliche Struktur sich der Gleichberechtigung (noch) verweigern kann, kann das eigene Gottes*bild jede*r selber erweitern. Stell dir Gott* mal weiblich und nichtpatriarchal vor: Das ist ungewohnt, aber lohnend.
Autorin: Dr. Annette Jantzen, Theologin, Pastoralreferentin im Bistum Aachen, dort Geistliche Leiterin des BDKJ-DV Aachen und regionale Frauenseelsorgerin, unter anderem mit dem Projekt www.gotteswort-weiblich.de. Auf Bundesebene Mitglied des Präsidiums der BDKJ-Bundesfrauenkonferenz.